Meinung

"Russland ruinieren" – Mehr als 11.000 beispiellose Sanktionen in einem Jahr

Über 11.000 Sanktionen wurden gegen Russland erlassen. Die EU behauptet, dass die Sanktionen wirken. Der Alltag in Russland und ökonomische Kennziffern sprechen eine andere Sprache.
"Russland ruinieren" – Mehr als 11.000 beispiellose Sanktionen in einem JahrQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO

Von Gert Ewen Ungar

24. Februar: ein Jahr militärische Spezialoperation – was auf der anderen Seite ein Jahr "präzedenzlose Sanktionen" gegen Russland bedeutet, mit dem von Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) bereits am 25. Februar 2022 klar formulierten Ziel: "Das wird Russland ruinieren." Schon vor Beginn der militärischen Spezialoperation in der Ukraine gab es mehr als zweitausend Sanktionen gegen Russland. Inzwischen hat sich die Zahl der Einzelsanktionen auf deutlich über zehntausend erhöht. Die Sanktionen sind nicht durch die UN legitimiert und daher unter völkerrechtlichen Aspekten höchst fragwürdig – das allerdings nur so nebenbei. Für das Völkerrecht interessiert man sich in Deutschland ohnehin nur, wenn man es gegen andere Länder in Stellung bringen kann, ansonsten ist es irrelevant und für das eigene Handeln nicht verbindlich. Fakt ist, dass Russland das weltweit am härtesten sanktionierte Land ist. 

Zeit für einen Blick auf die russische Wirtschaft und die russische Zivilgesellschaft, denn die Sanktionen hatten auch das Ziel, durch den ausgelösten Mangel einen Machtwechsel im Kreml zu begünstigen. Dass die EU unmittelbar nach dem Beginn der militärischen Spezialoperation mit einem umfangreichen Sanktionspaket reagierte, stützt die Vermutung, dass dieses längst ausgearbeitet war und die EU nur darauf gewartet hatte, es aktivieren zu können.

Wie viele andere Indizien und Belege stützt auch das die These, dass die EU nicht an Frieden interessiert ist. Ihr Ziel ist die Vernichtung Russlands. Die Sanktionen dienen dem Ziel der Zerstörung der russischen Wirtschaft und die Waffenlieferungen sollen die Ukraine in die Lage versetzen, einen militärischen Sieg über Russland zu erringen. Wer behauptet, dass die EU und der kollektive Westen keine bösen Absichten gegenüber Russland hegen würden, sollte sich die Proklamationen der EU in Erinnerung rufen. Es geht der EU um die Vernichtung Russlands als Staat. 

Allerdings erweisen sich all die Sanktionspakete als recht stumpfe Schwerter. Von einem tatsächlichen Mangel ist Russland nicht betroffen. Zum Teil hatten die Sanktionen sogar den genau gegenteiligen Effekt. Dafür haben die Rückwirkungen der Sanktionen in der EU und in den Ländern des kollektiven Westens zu enormen Preissteigerungen im Energiebereich geführt. Die Proteste gegen die Regierung, die sich die EU in Russland erhofft hat, finden derzeit in Frankreich, Italien und auch in Deutschland statt. In Russland ist es dagegen ruhig.

Einen paradoxen Effekt hatten die Sanktionen im Bausektor. Der Preis für den Bau eines Eigenheims in Russland ist nach Angaben von Experten im vergangenen Jahr je nach Preissegment und Konstruktionsweise zwischen fünf und dreißig Prozent gefallen, berichtete die Zeitung RBK. Für das laufende Jahr erwarten die Experten allerdings wegen der weiter zunehmenden Nachfrage auch wieder steigende Preise.

In Russland herrscht Bauboom

Im Gegensatz zu Deutschland gelang es Russland, den staatlich geförderten Wohnungsbau im vergangenen Jahr um 14,9 Prozent auszuweiten. Insgesamt wurden rund 93 Millionen Quadratmeter neuer Wohnflächen geschaffen. Bei einer angenommenen Durchschnittsgröße einer Wohnung von 65 Quadratmetern bedeutet das 1,4 Millionen neue Wohnungen im Jahr 2022. Zum Vergleich: Die Ampelkoalition hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, sie wolle jedes Jahr für 400.000 neue Wohnungen sorgen.

Schon an diesem im Vergleich mit Russland wenig ambitionierten Ziel ist die Bundesregierung gescheitert. Letztlich wurden in Deutschland lediglich 250.000 Wohnungen neu geschaffen, in diesem Jahr sollen es noch weniger werden bei stetig fallender Tendenz.

Die Gründe dafür, warum das Ziel deutlich verfehlt wurde, liegen auf der Hand: gestiegene Material- und Energiekosten, Rückgang der staatlichen Förderung und Erhöhung der Zinsen. Mit anderen Worten, die von der EU verhängten Sanktionen tragen maßgeblich zum Niedergang des Wohnungsbaus bei – allerdings nicht in Russland, sondern in Deutschland.

Wer sich in russischen Städten umschaut, wird zustimmen. Es wird gebaut und gebaut und gebaut. Allein in Moskau wurden im vergangenen Jahr neun neue Metrostationen eröffnet. Für dieses Jahr sind vierzehn weitere geplant. Hinzu kommen neue Bahnhöfe zur besseren Anbindung der Flughäfen. Es geht für deutsche Verhältnisse unglaublich schnell und mit unglaublicher Effizienz. In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt: Was macht eigentlich Stuttgart 21? Der anvisierte Eröffnungstermin liegt jetzt im Jahr 2025, oder?

Im Alltag der Menschen in Russland haben die Sanktionen kaum Auswirkungen. Auch vom vollmundig angekündigten Rückzug westlicher Marken und Firmen ist hier wenig zu spüren. In die entstandenen Nischen sind sofort andere Anbieter eingesprungen. Die Rückzugspolitik war nie einheitlich.

Einige Anbieter haben den Markt verlassen, die Konkurrenten sind geblieben. McDonalds ist als Marke verschwunden und heißt in Russland jetzt Vkusna i Toschka. Burger King ist nach wie vor präsent, Kentucky Fried Chicken ist unentschlossen.

Der Rückzug westlicher Automobilbauer hat zu einer Neuordnung des russischen Automarkts geführt. Zwar ist im letzten Jahr der Automarkt aufgrund der Unsicherheit eingebrochen, aber inzwischen wird deutlich, dass auch hier keine Lücken entstehen, sondern andere, vorwiegend chinesische und russische Automobilhersteller profitieren. Westliche Konzerne haben einfach den russischen Markt verloren und werden ihn auch im unwahrscheinlichen Fall der Lockerung der Sanktionen nicht wieder gewinnen. 

Die Regale in den Supermärkten sind voll, auch vom Westen sanktionierte Waren sind ausreichend vorhanden. In Russland nennt man es "Parallelimport". Waren, deren Lieferung aus der EU verboten ist, kommen in ganz großem Maßstab über die Türkei, China, Indien, Kasachstan und andere Länder, die sich am Sanktionsregime des Westens nicht beteiligen. Das ist übrigens die absolute Mehrheit der Länder. Im Gegenteil wird dort das Sanktionsregime des Westens offen kritisiert. Der Westen versammelt nicht die Welt hinter sich und isoliert Russland – wer das behauptet, ist desinformiert. 

Durch den Einsatz eines weiteren Zwischenhändlers haben sich Waren verteuert und damit einen Beitrag zur Inflation geleistet. Mittlerweile ist die Situation jedoch stabil und die Inflation sinkt wieder. Sie lag laut russischer Zentralbank im Jahr 2022 bei 11,9 Prozent und war damit niedriger als in vielen EU-Ländern. Im Gegensatz zur EZB hat die Zentralbank Russlands ein Inflationsziel von 4 Prozent. 

Da der Parallelimport die Pläne der EU durchkreuzt hat, in Russland umfassende Defizite auszulösen, plant die EU-Kommission inzwischen Sekundärsanktionen. Bisher ging die EU davon aus, dass Sekundärsanktionen völkerrechtswidrig seien – von dieser Sicht rückt die Kommission nun ab.

Unter Sekundärsanktionen versteht man Sanktionen gegen Unternehmen in Drittländern, die sich nicht an die Sanktionsvorgaben der EU halten. Mit derart repressiven Maßnahmen erhöht die EU ihren Beliebtheitsgrad in der Welt natürlich nicht, sondern sie wird dafür sorgen, dass man nach Lösungen sucht, sich aus der Abhängigkeit der EU und vom Euro zu befreien. 

Apropos EU: Kommissionspräsidentin von der Leyen vertritt die völlig irre These, dass Russland aus alten Kühlschränken und Waschmaschinen Mikrochips ausbauen würde, die es für die Waffenproduktion benötigt. Diese These ist gleich in zweierlei Hinsicht schräg.

Zum einen gibt es auch im Bereich Haushaltstechnik keinen Mangel in Russland. Zum anderen spricht die Entwicklung in der Ukraine eine andere Sprache. Während der NATO mit einem Budget von 1,4 Billionen Dollar die Munition ausgeht, verfügt Russland mit einem Budget von 66 Milliarden Dollar nach wie vor über die Fähigkeit, jeden Punkt in der Ukraine zu jeder Zeit anzugreifen und den Artillerie-Beschuss ukrainischer Stellungen intensiv zu halten – ganz ohne alte Waschmaschinen und Kühlschränke. Mit ihrer Aussage hat sich die EU-Kommissionspräsidentin der Lächerlichkeit preisgegeben.  

Russland nutzt seine Energien, um sich zunehmend vom Westen zu lösen. Start-ups und Innovationen von kleinen und mittleren Unternehmen werden gefördert und unterstützt. Insbesondere im technologischen und pharmazeutischen Bereich gibt es umfangreiche Programme. Gleichzeitig wurde "Made in Russia" zur Marke erklärt, die man schon aus patriotischen Gründen unterstützen sollte.

Und spätestens seit Putins Rede am 21. Februar ist vollkommen klar: Russland setzt alles daran, vom Westen unabhängig zu werden. Die Sanktionen haben in Russland ein Gründerzeitfieber ausgelöst. Die EU hat sich überwiegend selbst sanktioniert.  

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.