Wirtschaft

Digitales Geld schwächt den Westen

Die westlichen Zentralbanken befinden sich im Abwehrkampf gegen die Kryptowährungen und den digitalen Yuan. Diese untergraben die bisherige Vormachtstellung des politischen Westens im Finanzsystem. Wieso ist der Westen so sehr in die Defensive geraten, dass er sich nun von anderen Kräften das Gesetz des Handelns aufzwingen lassen muss?
Digitales Geld schwächt den WestenQuelle: Gettyimages.ru

Von Rüdiger Rauls

Wer zu spät kommt

Noch im Januar 2021 war Augustin Carstens, der Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – also der Notenbank der Notenbanken – der Meinung, dass der Nutzen des digitalen Euros für Verbraucher "als begrenzt" anzusehen sei. Eine sinnvolle Anwendung als Zahlungsmittel konnte er "nur für Banken und Unternehmen" erkennen.

Tatsache war damals wie heute, dass das Bankennetz in Europa gut ausgebaut ist für die Versorgung mit Bargeld, und Geldautomaten ermöglichen Abhebungen rund um die Uhr. So stellten Mitte des Jahres 2020 selbst Geschäftsbanken noch die Frage, "warum der einfache Verbraucher in Zeiten von Echtzeit-Überweisungen und kontaktlosen Kartenzahlungen einen digitalen Euro benötigt", so die FAZ. Zudem nutzen immer mehr Menschen das Onlinebanking, was Bargeld und den Gang zur Bank fast ganz überflüssig erscheinen ließ.

Damit klangen die Argumente der Befürworter des digitalen Euro, der schnellere und kostengünstigere Transaktionen ermögliche, genauso fadenscheinig wie das der höheren Sicherheit gegen Bankenpleiten. Denn durch die Einlagensicherung der Banken waren Guthaben bis zu einem Wert von 100.000 Euro ohnehin gegen Ausfall geschützt. Bis dahin hatte auch die EZB selbst die Einführung eines digitalen Euro nicht besonders leidenschaftlich betrieben. Noch bis Mitte des Jahres 2020 musste die BIZ "schon fast im Monatsrhythmus die Notenbanken dazu antreiben …, sich den digitalen Innovationen und Herausforderungen zu stellen" (FAZ).

Die Grundfesten westlicher Geldpolitik waren – unbemerkt – erschüttert worden durch die Entwicklung der Blockchain-Technologie. Auf ihrer Grundlage entstanden neue Finanzinstrumente wie die Kryptowährungen, deren bekannteste der Bitcoin ist. Dieser und vor allem die Pläne von Mark Zuckerberg, mit dem Libra eine private Digitalwährung einzuführen, setzten die Notenbanken unter Druck. Besonders der Libra hätte in seiner ursprünglichen Fassung keiner Regulierung mehr durch nationale Notenbanken unterlegen. Durch das soziale Netzwerk Facebook mit seinen Hunderten Millionen Nutzern hätte diese private Währung grenzüberschreitend Weltgeltung erlangen können.

So setzte sich in der EU-Kommission dann doch die Ansicht durch, dass "der digitale Euro unabdingbar[sei]. Ohne einen digitalen Euro würden sich die Digitalwährungen anderer Staaten oder private Kryptowährungen in Europa ausbreiten und die Rolle des Euro zurückdrängen", so die FAZ. Es geht also um nichts Geringeres als um die Abwehr von Gefahren für "die Selbstbehauptung der amtlichen Geldpolitik".

Die Vormachtstellung der westlichen Finanzmacht, besonders die des Dollars, der die Märkte seit Jahrzehnten schon bestimmt, wie auch des Euro als zweitstärkster Reservewährung, drohte zu wanken. Wie wichtig den westlichen Akteuren die Einführung der europäischen Digitalwährung ist, zeigt, dass selbst die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, bei der anstehenden Entscheidung über dessen Einführung im Oktober 2023 darauf drängte, "die Eurozone dürfe mit ihrem Vorhaben nicht hinter andere Staaten zurückfallen". Damit waren unausgesprochen Russland und besonders China gemeint.

China startet durch

Besonders der wachsende Vorsprung Chinas und Russlands im Bereich der Digitalwährungen und die Verfestigung ihrer Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit anderen Staaten – hier vor allem den sanktionierten – ließen die westlichen Notenbanken in fieberhafte Bemühungen verfallen, den Rückstand aufzuholen.

China und Russland werden nicht ausdrücklich als die größten Bedrohungen erwähnt. Aber die Kryptowährungen, von denen man sich früher unter Druck gesetzt sah, haben in der letzten Zeit an Bedeutung verloren. Durch seinen starken Kursverfall hatte der Bitcoin erheblich an Anziehungskraft auf Anleger eingebüßt. Auch dem Libra, der von Facebook als weiteres Geschenk für die Menschheitsfamilie angepriesen worden war, wurde mittlerweile von den Notenbanken und Gesetzgebern die Grenzen aufgezeigt. Sang- und klanglos wurde Zuckerbergs Plan eingestampft.

Gewachsen sind die Herausforderungen durch den digitalen Yuan. Zunehmend findet die chinesische Währung im weltweiten Handel Einsatz und stellt damit die Vorherrschaft der westlichen Reservewährungen infrage. Nach den Daten des SWIFT-Systems ist sie erstmals im Bereich der Handelsfinanzierung am Euro vorbeigezogen. Wertmäßig wurden "5,8 Prozent aller über das Netzwerk transferierten Handelsfinanzierungen in Yuan abgewickelt. Der Euro dagegen kam im September auf 5,43 Prozent", und das sind nur die Abwicklungen im SWIFT-Rahmen.

Während der Westen dank seines stark ausgebauten Bankensystems mit dem Bitcoin und auch der Blockchain fremdelte, hatte China sehr schnell die Vorteile dieser fortschrittlichen Technologie für sich erkannt und zu nutzen gewusst. Es entstanden Finanzprodukte und Anwendungen, die eine kostengünstige Möglichkeit darboten für die Ausweitung des Bank- und Kreditwesens. Selbst in den entlegensten Gegenden Chinas konnten nun auf diesem Wege Waren- und Bankgeschäfte abgewickelt werden, ohne dort Banken angesiedelt haben zu müssen.

Diese Anbindung an das chinesische Finanzsystem trug erheblich zur Entwicklung des ländlichen Raums und seiner Wirtschaft bei. Das war für China die vordringlichste Aufgabe. Der digitale Yuan war nicht deren bekannteste, der Bitcoin ist nicht als Konkurrenz zum Westen an den Start gegangen, sondern zur Entwicklung des eigenen Finanzwesens und Wirtschaftspotenzials.

Systemrivalität und Abkopplung

Wie immer man es nennen mag, Derisking, Decoupling, Diversifizierung der Lieferketten oder ähnlich harmlos Klingendes, die USA haben ihren politischen Fehler bestimmt längst bereut, der darin bestand, die Volksrepublik wirtschaftlich stark gemacht zu haben. Sie haben das nicht aus Nächstenliebe zu China getan, sondern im Profitinteresse der eigenen Wirtschaft. China war eigentlich nur gedacht als westliche Werkbank für die Belieferung des Weltmarkts.

Diese Rolle hatte das Land anfangs auch angenommen. Es wollte seine rückständige Wirtschaft voranbringen und den Lebensstandard seiner Bevölkerung anheben. Das ist dem Land besser gelungen, als der Westen erwartet hatte. Nicht nur das. China entwickelt sich rasant und wächst dem politischen Westen wirtschaftlich über den Kopf. Ohne die Volksrepublik geht nun nichts mehr in der westlichen Welt. Und da, wo es versucht wird, wird alles teurer.

Auch eine weitere Erwartung des Westens hatte sich nicht erfüllt. Wenn China schon nicht auf dem Niveau einer Kolonie gehalten werden konnte, um als Werkbank der Welt niedere Arbeiten zu verrichten, dann sollte es aber wenigstens eine Marktwirtschaft nach westlichem Muster werden. China ließ den Kapitalismus zwar zu, aber die kommunistische Partei mit ihren hundert Millionen Mitgliedern behielt ihre führende Rolle in der chinesischen Gesellschaft.

So blieben auch die großen Staatsbetriebe weiter bestimmend für die chinesische Wirtschaft, und sie sind bei Weitem nicht so rückständig, wie das westliche Bild von Sozialismus es sieht. "Das Gros der Patente in China wird dabei von Unternehmen beantragt, die entweder dem Staat gehören oder von seinen Weisungen abhängig sind", so die FAZ. Das Land wird nicht nur zum wirtschaftlichen, sondern immer mehr auch zum technologischen Rivalen. Auch das stand so nicht im Drehbuch.

Nun versucht der Westen, die Entwicklung zurückzudrehen. Man will China eindämmen, seine wirtschaftliche Entwicklung behindern, selbst um den Preis des Schadens für die eigene Wirtschaft. Die politische Lage zwischen China und den USA hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr verschärft. Mit dem US-Präsidenten Donald Trump begannen die Drohungen handfest zu werden. Zölle wurden erhoben, chinesische Unternehmen wie Huawei und ZTE von westlichen Aufträgen ausgeschlossen, andere an den US-Börsen vom Handel ausgesetzt.

Vermutlich war den Chinesen bald klar, dass sie sich auf eine Verschärfung der Konfrontation einstellen mussten, wenn sie auch immer wieder versuchten, mit den USA handelseinig zu werden. Wenn auch noch nicht direkt betroffen, war ihnen nicht entgangen, dass der politische Westen zunehmend mit der Sanktionskeule um sich schlug.

Als dann 2014 nach dem Putsch in der Ukraine und dem Anschluss der Krim an Russland erstmals offen auch gegenüber Putin mit dem Ausschluss aus dem SWIFT-System gedroht wurde, dürfte wohl auch China die Gefahr für sich gesehen und sich darauf vorbereitet haben. Eine dieser Vorbereitungsmaßnahmen waren verstärkte Forschungen und Investitionen in die Digitalisierung des Yuan als Garantie für den Erhalt der finanziellen Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit.

Die Winterolympiade von 2022 war der chinesische Sputnik-Effekt. Erstmals wurden der Weltöffentlichkeit die Erfolge des Landes in der Digitalisierung seiner Währung vorgestellt. Mit dem digitalen Yuan war erstmals ein griffiges Finanzinstrument vorgestellt worden, mit dem die Überwachung der Handelsströme durch das westliche SWIFT-System außer Kraft gesetzt werden konnte. Das scharfe Schwert westlicher Sanktionen begann, stumpfer zu werden.

Damit aber nicht genug. Der digitale Yuan kann auch als Blaupause gesehen werden für andere Währungen zur Umgehung von Sanktionen und zur Ablösung vom Dollar. Immer mehr Länder entwickeln ihre eigenen digitalen Währungen und verknüpfen diese mit China und Russland. Das bedeutet, dass die Digitalisierung von Währungen von China und Russland ausgeht und die Fortschritte anderer Staaten beflügelt.

Denn der politische Westen hat noch keine Digitalwährungen im Angebot. Diese müssen erst noch aufgebaut werden, während in Russland und China die Zeit voranschreitet und damit auch die Entwicklung der Wirtschaft durch diese modernen Systeme. Nun sieht sich der politische Westen selbst zu solchen Schritten gezwungen, will er nicht auf diesem Gebiet solcher Währungen ins Hintertreffen geraten.

Aber eigentlich bringt ihm die Entwicklung dieser digitalen Angebote wenig Vorteile, eher Nachteile. Anders als Russland und China verfügen die westlichen Staaten bereits schon lange über ein gut ausgebautes herkömmliches Banken- und Finanzsystem, wohl aber auch mit den entsprechenden Kosten für Personal und Gebäude. Die Digitalisierung bringt nun zusätzliche Kosten für ein weiteres Zahlungssystem, dessen es angesichts der bestehenden Finanzinfrastruktur eigentlich nicht bedurft hätte.

Hinzu kommen gesellschaftliche Spannungen. Denn die Vorteile dieses neuen Systems sind Geschäftsbanken und Bürgern nur schwer zu vermitteln. Die Banken im Westen sehen diese Digitalwährung als Konkurrenz für ihr eigenes Geschäftsmodell. Und das Misstrauen vieler Bürger wächst eher, weil auch sie den Sinn einer digitalen Währung für sich selbst nicht erkennen können. Stattdessen vermuten viele dahinter nach den Erfahrungen seit der Finanzkrise eher undurchsichtige Absichten, die nicht ihren Interessen entsprechen.

Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse

Mehr zum ThemaZum digitalen Euro verdammt

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.