Meinung

Washingtons zweifelhafte Reaktion auf den Mord an der Journalistin Abu Akleh

Israel ist nicht dafür bekannt, Straftaten seiner Soldaten unvoreingenommen zu untersuchen. Der Mord an einer palästinensisch-amerikanischen Journalistin hätte zum Wendepunkt beim Schutz von Journalisten werden können. Aber macht sich ein Verbündeter der USA schuldig, wird das für diese zum Problem.
Washingtons zweifelhafte Reaktion auf den Mord an der Journalistin Abu AklehQuelle: www.globallookpress.com © Ahmed Ibrahim

Ein Kommentar von Robert Inlakesh

Abu Akleh, eine erfahrene Journalistin, die für Al-Jazeera arbeitete, war vieles: eine Christin und eine mutige Reporterin; für die meisten Palästinenser war sie ein beliebtes und bekanntes Gesicht, das viele im Fernsehen sahen. Ihr Tod war ein Schock, nicht zuletzt, weil Journalisten, die Augenzeugen ihrer Tötung wurden, aussagten, dass israelische Streitkräfte ihr während einer Razzia im Flüchtlingscamp Jenin im Westjordanland mit scharfer Munition in den Kopf geschossen hätten.

Das israelische Außenministerium verbreitete daraufhin umgehend ein Video von palästinensischen Schützen, die das Feuer in Jenin eröffneten, und behauptete auf Twitter, dass Palästinenser "wahllos zu schießen begannen und wahrscheinlich dabei die Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh getroffen haben". B'Tselem, Israels führende Menschenrechtsorganisation, führte daraufhin eine Untersuchung der Behauptungen der israelischen Regierung durch und bewies, "dass die in diesem Video dargestellte Schießerei unmöglich das Gewehrfeuer sein kann, das Shireen Abu Akleh getroffen hat". Trotz fehlender Beweise deutete Israels Premierminister Naftali Bennett in einer Stellungnahme zum Vorfall an, dass es die "erhebliche Möglichkeit" einer palästinensischen Verantwortung gebe und forderte eine Untersuchung von israelischer Seite.

Als der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, nach dem Tod von Abu Akleh zu den US-Medien sprach und die Position und Reaktion der Regierung Biden auf den Mord darlegte, berief er sich auf Washingtons Vertrauen in die Fähigkeit der israelischen Regierung, eine Untersuchung durchzuführen. Auf Fragen von Journalisten, warum – aufgrund von Zweifeln an der Unvoreingenommenheit Israels – keine internationale Untersuchung durchgeführt werden sollte, an der dann auch die USA beteiligt wären, verwies der Sprecher auf den Fall von Iyad al-Halak.

Iyad al-Halak war ein Palästinenser, der an Autismus litt und im Mai 2020 von einem israelischen Polizisten in Jerusalem erschossen wurde. Obwohl Ned Price dies als Beispiel dafür anführte, dass Israel seine Streitkräfte durchaus zur Rechenschaft zieht, dauert der Prozess gegen den Beamten immer noch an. Weder kam der Polizist bisher in Untersuchungshaft, noch haben die israelischen Behörden dessen Namen veröffentlicht.

Israels Position, dass Abu Akleh höchstwahrscheinlich von Palästinensern getötet wurde, änderte sich dann einen Tag später, als die israelischen Behörden erklärten, dass sie eine Untersuchung des Vorfalls durchführen würden. Dabei wurde sogar erwähnt, dass man der Möglichkeit nachgehen werde, ob ein israelischer Soldat die Journalistin getötet habe. Berichten vom 19. Mai zufolge will Israel den Mord nun jedoch keineswegs weiter untersuchen, weil eine Untersuchung, in der israelische Soldaten als Verdächtige gelten, wahrscheinlich auf Widerstand in der israelischen Gesellschaft stoßen würde. Da damit fraglich ist, ob überhaupt noch eine israelische Untersuchung des Mordes an Abu Akleh durchgeführt wird, erscheint die Behauptung der US-Regierung, man könne Israel eine faire Untersuchung zutrauen, noch weniger glaubwürdig.

Vielmehr weisen Israels Handlungen in der Vergangenheit in die gegenteilige Richtung. Der letzte Fall, bei dem israelische Soldaten auf einen deutlich erkennbar mit Presseweste gekennzeichneten Journalisten schossen, ereignete sich im April 2018 im Gazastreifen, als Scharfschützen den 30-jährigen Yasser Murtaja während einer gewaltlosen Demonstration töteten. "Yasser Murtaja war ein Zivilist und Journalist, der als solcher eine eindeutig gekennzeichnete Weste trug, während er die Demonstrationen am Gaza-Zaun zu Israel filmte. Er war dort, weil er dokumentieren wollte, wie Zivilisten ihr Recht auf friedlichen Protest ausüben", stellte der norwegische Flüchtlingsrat damals fest – eine Einschätzung, die sich später auch in einem UN-Menschenrechtsbericht wiederfindet.

Aber anstatt gegen die eigenen Soldaten wegen Mordes an Murtaja zu ermitteln, begannen israelische Offizielle zu behaupten, habe das Opfer eine Drohne über die Köpfe israelischer Soldaten gesteuert. Zugleich wurden Versuche unternommen, den jungen Journalisten als Terroristen darzustellen. Israel hat keinen seiner Soldaten wegen dieser Tötung strafrechtlich verfolgt. Kein einziger Soldat wurde wegen Mordes an den bereits über 300 Palästinensern angeklagt, darunter zwei weitere Journalisten während der Demonstrationen des "Großen Marsches der Rückkehr" in den Jahren 2018 und 2019.

Im Jahr 2016 tötete ein israelischer Soldat namens Elor Azaria in der Stadt al-Khalil im Westjordanland einen Palästinenser, der bewusstlos am Boden lag. Nachdem ein Video des gesamten Vorfalls aufgetaucht war, das es unmöglich machte, das Geschehene zu vertuschen, handelte Israel und Azaria wurde schließlich zwei Jahre später zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt. Diese wurde jedoch später durch Gadi Eizenkot, den Stabschef der Armee, auf vier Monate verkürzt. Dies war das letzte Mal, dass ein israelischer Soldat überhaupt ins Gefängnis kam, weil er einen Palästinenser getötet hatte.

Bei der Beerdigung von Abu Akleh griffen israelische Streitkräfte die Trauernden und die Sargträger an und behaupteten später, die Palästinenser hätten Steine und Flaschen nach ihnen geworfen – nach dem Vorfall tauchten allerdings Hinweise auf, dass die Polizei das Filmmaterial von der Beerdigung manipuliert und selektiv bearbeitet hat.

Selbst wenn Israel eigene Ermittlungen zur Ermordung von Shireen Abu Akleh durchführt, deuten diese Beispiele aus der Vergangenheit darauf hin, dass ein unvoreingenommenes Ergebnis unwahrscheinlich ist und israelische Soldaten, selbst wenn sie ihre Schuld festgestellt wird, nicht in strafrechtlich angemessenem Umfang belangt werden. Tatsächlich ist die Bilanz der Rechenschaftspflicht so schlecht, dass sich die Menschenrechtsgruppe B'Tselem nicht einmal mehr die Mühe macht, Beschwerden bei den israelischen Streitkräften und der Polizei einzureichen, da sie dieses Unterfangen für nutzlos erachtet.

Indem aber auch die US-Regierung keine internationale Untersuchung fordert oder etwa selbst einleitet, sendet sie an Israel die klare Botschaft, dass niemand zur Rechenschaft gezogen wird, der sich an der Ermordung von US-Journalisten in den besetzten palästinensischen Gebieten beteiligt.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Robert Inlakesh ist politischer Analyst, Journalist und Dokumentarfilmer und lebt derzeit in London. Er berichtete aus den besetzten palästinensischen Gebieten, in denen er zeitweise lebte. Derzeit arbeitet er für Quds News und Press TV. Er ist Regisseur des Films "Diebstahl des Jahrhunderts: Trumps Palästina-Israel-Katastrophe". Man kann ihm auf Twitter unter @falasteen47 folgen.

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