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Kissinger: "Wir stehen am Rande eines selbst verschuldeten Krieges mit Russland und China"

Im Interview mit dem Wall Street Journal kritisierte Henry Kissinger die Ziellosigkeit der aktuellen westlichen Politikerriege, die nur mehr emotional auf den Augenblick reagiere. Die Kriegsgefahr mit Russland oder China hätten die USA teilweise selbst verschuldet.
Kissinger: "Wir stehen am Rande eines selbst verschuldeten Krieges mit Russland und China"Quelle: www.globallookpress.com © Christoph Soeder / dpa

Anlässlich der Herausgabe seines neuen Buches "Leadership: Six Studies in World Strategy" sprach der 99-jährige ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger am 12. August mit dem Wall Street Journal (WSJ).

Nach eigener Aussage analysiere er in seinem neuen Buch die Visionen und historischen Errungenschaften eines "eigenwilligen Pantheons" führender Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg: Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar Sadat, Lee Kuan-Yew und Margaret Thatcher. Kissinger zufolge vereinten diese ehemaligen Politiker zwei klassische Methoden des Führens: einen weitsichtigen Pragmatismus des Staatsmannes und die visionäre Kühnheit des Propheten.

Einen zeitgenössischen Staatschef mit dieser Kombination von Eigenschaften kenne er nicht. Darum bemängele er, dass die aktuelle Politik richtungs- und ziellos sei:

"Ich denke, dass die aktuelle Epoche große Schwierigkeiten hat, eine Richtung zu definieren. Sie reagiert sehr stark auf die Emotionen des Augenblicks."

Als Experte für Nuklearstrategie habe der ehemalige US-Außenminister Diplomatie immer als einen Balanceakt zwischen Großmächten verstanden, die durch das Potenzial einer nuklearen Katastrophe überschattet würde. Aufgrund des apokalyptischen Potenzials moderner Waffentechnologie ist es aus seiner Sicht für die internationalen Beziehungen dringend notwendig, das Gleichgewicht zwischen feindlichen Mächten zu erhalten. Er stellte dazu fest:

"Meiner Meinung nach hat das Gleichgewicht zwei Komponenten. Eine Art Gleichgewicht der Kräfte und die Akzeptanz der Legitimität von manchmal gegensätzlichen Werten. Denn wenn man glaubt, dass das Endergebnis der Bemühungen die Durchsetzung der eigenen Werte sein muss, dann ist ein Gleichgewicht meiner Meinung nach nicht möglich."

Ein besonderes Problem bestünde in der Weigerung der US-Amerikaner, Diplomatie grundsätzlich von "persönlichen Beziehungen zum Gegner" zu trennen:

"Sie (die Amerikaner) neigen dazu, Verhandlungen eher missionarisch als psychologisch zu betrachten. Dabei versuchen sie, ihre Gesprächspartner zu bekehren oder zu verurteilen, anstatt ihr Denken zu durchdringen."

Aktuell sehe Kissinger die Welt am Rande eines gefährlichen Ungleichgewichts:

"Wir stehen am Rande eines Krieges mit Russland und China in Fragen, die wir zum Teil selbst verursacht haben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie das Ganze enden wird oder wozu es führen soll."

Deshalb frage er sich, ob die USA wie auch in den Nixon-Jahren mit den beiden Gegnern durch Vermittlung zwischen ihnen umgehen könnten. Er habe aber kein einfaches Rezept parat.

"Man kann nicht einfach sagen, dass wir sie abspalten und gegeneinander ausspielen werden. Alles, was man tun kann, ist, die Spannungen nicht zu beschleunigen und Optionen zu schaffen, und dafür muss man ein Ziel haben", erklärte Kissinger.

Hinsichtlich der Ukraine-Krise, so das WSJ, habe Kissinger bereits Anfang dieses Jahres angedeutet, "dass eine unvorsichtige Politik der USA und der NATO die Krise in der Ukraine ausgelöst haben könnte". Jetzt sehe er

"keine andere Möglichkeit, als die von Wladimir Putin geäußerten Sicherheitsbedenken ernst zu nehmen, und hält es für einen Fehler, dass die NATO der Ukraine signalisiert hat, sie könne dem Bündnis beitreten".

Schließlich sei die Ukraine doch eine Ansammlung von Gebieten, die einst zu Russland gehörten. Diese betrachteten die Russen als ihre eigenen, auch wenn "einige Ukrainer" dies nicht tun würden, begründete der Experte für US-Außenpolitik seine Kritik an der NATO.

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