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"Fehler solcher Länder wie der USA": Über die Ursachen der weltweiten Nahrungsmittelkrise

Für die Krise auf dem globalen Lebensmittelmarkt waren nicht die Ereignisse rund um die Ukraine ausschlaggebend, sondern die Fehler der westlichen Länder im Bereich der Geld- und Energiepolitik. Dies sagte Maxim Oreschkin, der Adjunkt des russischen Präsidenten, in einem exklusiven Interview mit RT.
"Fehler solcher Länder wie der USA": Über die Ursachen der weltweiten NahrungsmittelkriseQuelle: www.globallookpress.com © Martin Wagner via www.imago-images.com

von Murat Gazdijew

Maxim Orschkin, dem Adjunkten des russischen Präsidenten, zufolge haben beiden, das umtriebige Gelddrucken in den USA und die überstürzte Abkehr der Europäischen Union von traditionellen Energiequellen in den letzten zwei Jahren, zu einem deutlichen Preisanstieg bei Lebensmitteln und Rohstoffen geführt. Zudem haben die neuen Sanktionen des Westens gegen Russland die Situation nur verschärft. Der aktuelle Zustand birgt die Gefahr des Hungers in den ärmsten Ländern. Unterdessen ist Moskau laut Oreschkin nach wie vor bereit, Lebensmittel zu exportieren, um die weltweite Knappheit zu decken.

RT: Der Westen überträgt die Schuld an Russland, was die derzeitige Nahrungsmittelkrise angeht, und behauptet, unser Land habe eine Spezialoperation gestartet und sei deswegen an allen Folgen schuld. Wie ist die Situation wirklich?

Maxim Orschkin: "Zunächst einmal müssen wir die realen Fakten analysieren. Die UN-Statistiken zeigen, wie sich die Lebensmittelpreise entwickeln. Und wenn man sich diese Daten ansieht, erkennt man, dass die Lebensmittelpreise nicht erst in den letzten beiden Monaten zu steigen begannen.

Der Preisindex für Nahrungsmittel, berechnet von der UN, ist in den letzten zwei Jahren um mehr als 70 Prozent gestiegen, und mehr als die Hälfte dieses Anstiegs fand vor Februar 2022 statt. Solche drastischen Veränderungen sind nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Die Rede ist immer von einer Kombination mehrerer Faktoren, die ein solches Ergebnis bewirken.

Alles begann Mitte 2020, als die Preise nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Rohstoffe und Energie in die Höhe schnellten. Die Ursache dafür wurden Fehler solcher Länder wie der USA – vor allem der USA – im Bereich der Geldpolitik.

In zwei Jahren, seit Februar 2020, haben die USA die Geldmenge um fast 40 Prozent erhöht. Rund sechs Billionen Dollar wurden gedruckt, um die Wirtschaft zu stützen. Natürlich hat sich dieses Geld in der ganzen Welt verteilt und einen Prozess steigender Lebensmittelpreise ausgelöst. Dies war die erste Phase.

Der Beginn der zweiten Phase kam auf Mitte 2021, als Europa mit einer Energiekrise konfrontiert war. Die Schlüsselrolle darin haben Fehler gespielt, die vor allem von der Europäischen Kommission im Bereich der Energiepolitik begangen wurden. Damit meine ich den übermäßigen Rückgriff auf erneuerbare Energien und kurzfristige Gasverträge.

Das alles hat die Gaspreise in die Höhe getrieben, was zu einem großen Teil im Rückgang der Düngemittelproduktion und folglich  der Ernteerträge resultiert hat. Selbstverständlich hat diese Sachlage auch erhebliche Konsequenzen für die Lebensmittelpreise gehabt.

Apropos dritte Phase: Hier nähern wir uns endlich dem Februar 2022. Doch der Grund liegt nicht in der Spezialoperation in der Ukraine, sondern in den zahlreichen Sanktionen gegen verschiedene Düngemittelhersteller in Weißrussland und Russland, Sanktionen gegen Handelsschiffe und den Zahlungsverkehr. Das hindert den Handel. Russland möchte mehr Lebensmittel und Düngemittel exportieren. An der Erhöhung des Exports für Düngemittel ist auch Weißrussland interessiert. Die Sanktionen blockieren jedoch den Zugang zum Weltmarkt und begrenzen ganz klar das verfügbare Angebot."

RT: Zum jetzigen Zeitpunkt haben die westlichen Länder bereits mehr als 11.000 Sanktionen gegen Russland verhängt.

Maxim Orschkin: "Genau, so sieht der Sanktionswahnsinn aus."

RT: Dennoch ruft der Westen Russland dazu auf, weiterhin Düngemittel und landwirtschaftliche Produkte zu exportieren, verhängt aber gleichzeitig Sanktionen gegen unsere Logistikunternehmen. Es bestehen bereits Verbote für Seetransporte von Erdöl aus Russland und für die Versicherung von russischen Schiffen. Wie kann der Westen unter diesen Umständen Russland vorwerfen, die Lieferungen zu beschränken?

Maxim Orschkin: "Irgendwann wurde uns völlig unklar, was da vor sich geht, denn die Sanktionen, die sie wöchentlich, wenn nicht gar täglich ankündigen, sind einfach töricht. Keine Logik, keine wirtschaftlichen Überlegungen stecken dahinter.

Sie schaden sich selbst: In einigen europäischen Ländern, wie Estland, ist die Inflationsrate höher als in Russland. Der Rubel ist stärker geworden als der Euro. Was sie dabei tun, ist ungewiss.

Dieser Wahnsinn in der politischen Entscheidungsfindung hat leider sehr schmerzhafte Folgen für die Welt, insbesondere für die Länder in Afrika und der arabischen Welt. Dies alles birgt das Risiko, dass weniger Energie und Lebensmittel auf den Weltmarkt gelangen."

RT: Warum beobachtet man eine solch schwere Situation in Afrika und im Nahen Osten? Und warum glaubt man dort, dass der Westen daran schuld ist?

Maxim Orschkin: "Es wichtig zu verstehen, dass die Sanktionen nur eine geringe Rolle spielten, zusätzlich zu all den Problemen, die sich in den vergangenen Jahren angesammelt haben. Die bereits erwähnte Geldpolitik, die Emission von Geld in den USA – was bedeutet sie? Dass die Vereinigten Staaten, in jedem Fall, egal wie hoch die Lebensmittelpreise sind, Geld drucken werden, um für sich selbst Lebensmittel zu kaufen.

Den Statistiken zufolge ist der tägliche Kalorienverbrauch in den USA um mehr als 50 Prozent höher als im weltweiten Durchschnitt. Also, sie drucken Geld und kaufen die ganzen Lebensmittel auf. Natürlicherweise nehmen sie diese Lebensmittel denjenigen weg, die sie sich nicht leisten können, und das sind die armen Länder in Afrika und der arabischen Welt.

Grundsätzlich muss man sagen, dass es wirklich genug Lebensmittel auf dieser Welt gibt. Würden Länder wie die Vereinigten Staaten ihren Verbrauch reduzieren, gäbe es genug Nahrung für alle."

RT: Wenn man darüber spricht, wer wie viele Lebensmittel bekommt – die westlichen Länder versuchen gerade, Getreide aus der Ukraine auszuführen und behaupten, sie tun das zum Wohle der Allgemeinheit. Wie wichtig sind die Vorräte an ukrainischem Weizen für den globalen Lebensmittelmarkt wirklich?

Maxim Orschkin: "Was das ukrainische Getreide angeht, gibt es eine interessante Tatsache. Sicher, alle reden von 20 Millionen Tonnen Weizen in den ukrainischen Lagern, doch in Wirklichkeit werden die ukrainischen Reserven nicht auf 20 Millionen, sondern auf sechs Millionen Tonnen geschätzt, wenn man sich die Daten des US-Landwirtschaftsministeriums ansieht.

Nehmen wir dennoch an, es handelt sich um 20 Millionen Tonnen ukrainischen Weizens. Das sind nur 2,5 Prozent der weltweiten Weizenproduktion, die sich auf 770 Millionen Tonnen pro Jahr beläuft. Zudem macht der Weizen selbst nur ein Fünftel des weltweiten Kalorienverbrauchs aus. Das bedeutet, dass wir nur über 0,5 Prozent oder sogar einen noch geringeren Anteil der weltweiten Nahrungsmittelproduktion sprechen. Die Zahl ist sehr klein.

Zusätzlich zur Sachlage ist Russland bereit, 13 Millionen Tonnen mehr als im letzten Jahr zu exportieren und damit das gesamte potenzielle Defizit zu decken. Gleichzeitig werden die Verluste aufgrund von Problemen in Indien (Dürre, Ernteausfälle) auf elf Millionen Tonnen geschätzt. Allein schon wegen des Wetters in Indien. Dies ist nur einer der vielen Faktoren, die den Weizenmarkt beeinflussen. Und was die Lebensmittel betrifft, dieser Faktor ist nicht so wichtig verglichen mit der Geldemission, der Energiekrise, der Krise im Bereich der Düngemittel. Das Hauptresultat all dieser Ereignisse, die aus den Fehlern der Verantwortlichen in den USA und Europa stammen, sind die heutigen Probleme mit der Lebensmittelversorgung."

RT: Nach der Einschätzung der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation hat sich die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden und vom Hungertod bedroht sind, in den letzten zwei Jahren gegenüber der Zeit vor der Pandemie verdoppelt. Wir sprechen hier von 300 Millionen Menschen. Wenn die Nahrungsmittelkrise anhält, was sollen diese Menschen dann tun?

Maxim Orschkin: "Ein sehr ernstes Problem. In Russland werden wir unsererseits alles tun, um mehr Lebensmittel auf den Weltmarkt zu bringen. Im Unterschied zu den USA, die ihre Importe anwachsen lassen, die Nettoimporteure von Nahrungsmitteln sind und ihre Ausgaben für den Kauf von Nahrungsmitteln weltweit in einem Maße erhöhen, das die Einnahmen aus ihren Exporten übersteigt, wird Russland Nahrungsmittel in immer größerem Umfang anbieten.

Leider wird der gesamte Anstieg unserer Exporte in diesem und im nächsten Jahr nicht ausreichen, um den gesamten Bedarf des Weltmarktes zu decken. Wie schon bei der letzten Lebensmittelkrise vor zehn Jahren werden die Menschen den Lebensmitteln nachlaufen, d. h. in jene Länder gehen, die es ihnen abkaufen: das sind Europa und die Vereinigten Staaten."

RT: Dennoch beschränkt Russland die Ausfuhr seiner Düngemittel. Wollen wir sie nicht ins Ausland liefern?

Maxim Orschkin: "Russland hat keine Beschränkungen eingeführt – es exportiert weiterhin Düngemittel. Wir tragen lediglich Sorge für die Deckung der Binnennachfrage. Wir ließen genau so viel Dünger übrig, wie wir brauchen, um dieses Jahr eine sehr reiche Ernte einzufahren, die wir unter anderem auf dem Weltmarkt anbieten werden. So erwartet uns, sehr wahrscheinlich, eine Rekordweizenernte und wir können die Welt mit diesem Nahrungsmittel versorgen.

Im Allgemeinen sind alle Maßnahmen, die von Russland im Bereich Düngemittel ergriffen werden, auf die Versorgung des heimischen Marktes beschränkt. Was darüber hinausgeht, wird exportiert. Wenn man die Zahlen betrachtet, wird man feststellen, dass Russland die Lieferung von Düngemitteln ins Ausland nicht eingestellt hat."

RT: Dabei gab es aber Beschränkungen seitens des Westens, nicht wahr?

Maxim Orschkin: "Ja, das war ein Problem in den letzten paar Monaten, denn ein Mangel an Trockenfrachtschiffen, ein Mangel an Partnern, die Düngemittel kaufen, macht es nicht besonders leicht, sie auf den Weltmarkt zu bringen. Russland ist bereit mehr Nahrungsmittel und Düngemittel zu liefern, doch ist dies aufgrund der durch die Sanktionen zerstörten Logistik sehr problematisch.

Übrigens haben die Vereinigten Staaten irgendwann, als sie das Problem erkannten, die Sanktionen gegen russische Düngemittel aufgehoben. Im Gegenzug hielt die Europäische Union die Sanktionen aufrecht. Das ist Irrsinn. Es fehlt die Logik in ihren Handlungen."

Übersetzung aus dem Russischen

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