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Die Akte Rose: Journalisten rollen mutmaßlichen Mord in deutschem Polizeirevier neu auf

Vor mehr als zwei Jahrzehnten begann im Polizeirevier Dessau eine Serie ungeklärter Todesfälle. Das erste Opfer Hans-Jürgen Rose war schwer misshandelt und dann im Schnee abgelegt worden. Gemeinsam mit den Hinterbliebenen rollten Journalisten nun den Fall neu auf – mit brisanten Ergebnissen.
Die Akte Rose: Journalisten rollen mutmaßlichen Mord in deutschem Polizeirevier neu aufQuelle: www.globallookpress.com © Andreas Friedrichs / IMAGO

Von Susan Bonath

Seit über 26 Jahren tappt Iris Rose im Dunkeln. Die Mörder ihres Ehemannes wurden, vermutlich beabsichtigterweise, nie gefasst. Der damals 36-jährige Maschinenbauingenieur Hans-Jürgen Rose starb am 8. Dezember 1997 an schweren inneren Verletzungen, die durch brutale Misshandlungen – unmittelbar nach seinem Aufenthalt im Polizeirevier Dessau, Sachsen-Anhalt – verursacht wurden.

Die Ermittlungen zu Roses Todesumständen hat die Dessauer Staatsanwaltschaft längst endgültig eingestellt. Doch ein "Recherchezentrum" hat den Fall wieder aufgerollt, Teile der Ermittlungsakten geleakt und Anzeige gegen Polizeibeamte beim Generalbundesanwalt erstattet. Der darin geäußerte Verdacht: Womöglich deckt der Staat einen brutalen Mord durch Polizisten, der sich in einen Komplex ähnlicher mutmaßlicher Verbrechen im selben Revier einreiht. Nicht nur manipulierte Akten sprächen dafür.

Manipulierte Akten

Der Journalist Luke Harrow begründete die eingeleiteten Schritte auf einer Pressekonferenz des Rechercheteams Ende März mit einem "gründlichen Aktenstudium", Interviews mit den Hinterbliebenen und einer involvierten Rechtsmedizinerin sowie mit einem selbst beauftragten Gutachten. Letzteres soll belegen, dass die inzwischen teilweise auf der Internetplattform "Frag den Staat" veröffentlichten Aktennachträglich manipuliert worden sind.

Der renommierte britische Schriftforensiker John Richard Welch hat demnach die umfangreichen Dokumente zum Fall Rose gründlich begutachtet, erläuterte Harrow. Welch habe viele nachträgliche Manipulationen gefunden, die aufgrund damals noch fehlender technischer Möglichkeiten gut erkennbar seien.

Witwe wurde "belogen und verdächtigt"

Sie sei "froh, nach so vielen Jahren hier sitzen zu dürfen", berichtete die Witwe des Opfers, Iris Rose, auf der Konferenz. Viele Jahre lang sei sie als Angehörige des Getöteten "belogen und sogar selbst verdächtigt" worden. Sie habe zudem kaum Informationen zu den Ermittlungen erhalten, "die Anträge wurden immer abgelehnt", erinnerte sie sich und fügte an: "Die Täter leben ja noch und sie zeigen keine Reue."

Es gelang den Journalisten zudem, die damals für den Fall zuständige Gerichtsmedizinerin Uta Romanowski zu interviewen. In ihrem Obduktionsbericht hatte sie damals geschrieben, man habe "zahlreiche schwere stumpfe Gewalteinwirkungen, insbesondere auf den Rücken, das Gesäß und die unteren Gliedmaßen" festgestellt, die noch zu Lebzeiten des Opfers erfolgt seien. Im mitgefilmten Gespräch bestätigte Romanowski ihre damalige Einschätzung. Sie frage sich, warum die Ermittler dieser offenkundig nicht weiter nachgingen.

Anzeige wegen Mordverdachts

Im Ergebnis habe die dreijährige Recherche ihres Teams ergeben, ergänzte Sprecherin Nadine Saeed, "dass mindestens vier Polizeibeamte der damaligen Nachtschicht Hans-Jürgen Rose mit Tritten und Schlägen, vor allem mit Schlagstöcken, misshandelten und folterten und ihn dann, gegen 4.30 Uhr am 7. Dezember 1997, vor einem Wohnhaus etwa 200 Meter vom Polizeirevier entfernt im T-Shirt abgelegt haben, offenbar in der Absicht, das Opfer dort sterben zu lassen".

Daher habe ihr Team zusammen mit den Hinterbliebenen und einem Rechtsanwalt am 28. März Strafanzeige gegen vier involvierte Beamte gestellt, in deren Obhut Hans-Jürgen Rose unmittelbar vor seinem Auffinden gewesen war, so Saeed weiter. Der Vorwurf darin laute: Verdacht des Mordes durch Staatsbedienstete – ein Verbrechen, das nicht verjährt.

Recherchen der Autorin

Bereits im Jahr 2018 hatte die Autorin dieses Beitrages eine eigene Recherche zum Fall Rose unter anderem bei RT DE veröffentlicht, die sich mit der Darstellung des Recherchezentrums weitgehend deckt.

Der Artikel von damals beschreibt den Hergang nach Aktenlage, die vielen Widersprüche darin und die massiven Verletzungen des Opfers, die bei der Obduktion festgestellt wurden, darunter gerissene Organe sowie Rippen- und Wirbelbrüche. Dies führte zu schweren inneren Blutungen, einer Querschnittslähmung und schließlich zum Versterben von Rose im Krankenhaus am Tag nach seinem Auffinden.

Zwei weitere ungeklärte Todesfälle

Der Fall Rose kam im Zuge der Ermittlungen zum Feuertod des Flüchtlings Oury Jalloh an die Öffentlichkeit. Jalloh verbrannte im Januar 2005 im gleichen Polizeirevier bis zur Unkenntlichkeit. Von der Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter hatten 2016 eine Selbstentzündung ausgeschlossen. Im Jahr 2017 wandte sich der damals Leitende Oberstaatsanwalt in Dessau, Folker Bittmann, mit einem Vermerk an den Generalbundesanwalt. Darin begründete er einen dringenden Mordverdacht gegen zwei Polizeibeamte.

Als mögliches Motiv nannte Bittmann darin unter anderem die mutmaßliche Absicht, zwei weitere Todesfälle im Dessauer Polizeirevier "unterm Deckel" zu halten: Hans-Jürgen Rose (1997) und Mario Bichtemann, der im Oktober 2002 in einer Zelle an einem Schädelbruch verstorben war. Die Familie von Oury Jalloh hatte damals gemeinsam mit ihren Anwältinnen die Herausgabe der zugehörigen Akten erwirkt.

Vertuscht und politisch blockiert

Die Recherchen der Autorin legen ebenfalls nahe, dass bei den Fällen Rose und Jalloh offenbar eine mutmaßliche gewaltsame Tötung durch Polizeibeamte vertuscht werden sollte. Im Fall Bichtemann handelt es sich demnach mindestens um verweigerte medizinische Hilfe, also ein Unterlassen, das unweigerlich zum Versterben des in Gewahrsam Genommenen führte. Alle drei Opfer waren zum Zeitpunkt ihres gewaltsamen Todes erst 36 Jahre alt.

Es gibt überdies zahlreiche Anhaltspunkte für politische Einflussnahme auf die Ermittlungen. Im Laufe der Recherche stieß die Autorin immer wieder an "Mauern des Schweigens. Die Blockadehaltung erstreckte sich über die Landesgrenzen von Sachsen-Anhalt hinaus – bis hinauf zur Bundesanwaltschaft und zum Bundesjustizministerium.

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