Deutschland

Wegen Energiewende der Bundesregierung: Stadtwerke sollen Rückbau der Gasnetze planen

Die Bundesregierung möchte im Rahmen ihrer verabschiedeten Energiewende anstatt auf fossile Brennstoffe künftig zunehmend auf klimaneutrale Energien setzen. Deshalb soll nach Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums jetzt auch das deutsche Erdgasverteilnetz zurückgebaut werden. Doch die Pläne stoßen auf teils heftige Kritik.
Wegen Energiewende der Bundesregierung: Stadtwerke sollen Rückbau der Gasnetze planenQuelle: Gettyimages.ru © Daniel Balakov

Die Bundesregierung plant im Rahmen ihrer Energiewende Berichten zufolge offenbar den Rückbau des deutschen Erdgasverteilnetzes. Auf einer Stadtwerke-Tagung vergangene Woche soll Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, die dort anwesenden Branchenvertreter demnach dazu aufgefordert haben, mit den Planungen für den "Rückbau" des Netzes zu beginnen. Das berichtet die Zeitung Welt am Sonntag unter Berufung auf Teilnehmerkreise.

Graichen habe in der Runde auf den Zeitplan für die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, die Umstellung der Energiewirtschaft auf einen niedrigeren Kohlenstoffumsatz, verwiesen. "Natürlich ist im Jahr 2045 da kein Gas mehr in den Netzen", erklärte der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) beauftragte Staatssekretär den Tagungsteilnehmern zufolge. Einzelne Heizungen künftig mit klimaneutralem Wasserstoff zu betreiben, sei "Träumerei", so Graichen weiter. Er leitete in der Vergangenheit auch den Thinktank Agora Energiewende, eine von der Bundesregierung mitfinanzierte Denkfabrik, die sich nach eigenen Angaben den Energiezielen der Europäischen Union verschrieben hat.

Die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums sorgten indes für heftige Kritik. Denn sollten sich diese durchsetzen, würde das nach dem voreiligen Ausstieg aus der Kernenergie und dem Ende der Kohle-Energiegewinnung erneut einen radikalen Einschnitt in die bisherige Struktur der deutschen Energieversorgung bedeuten. Die deutsche Energiewirtschaft ging bislang davon aus, dass die Gaspipelines vorerst weiter genutzt und dann schrittweise für den Transport von klimaneutralen Brennstoffen wie Wasserstoff, Biogas und synthetischem Methan umgerüstet würden.

"Es ist nicht zielführend, so mir nichts, dir nichts den Rückbau der Gasverteilnetze in den Raum zu stellen", erklärte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), in dem mehr als 900 Stadtwerke organisiert sind, der Welt am Sonntag. "Damit würde eine bestehende Infrastruktur entwertet, die mehrere Hundert Milliarden Euro wert ist." Jetzt in die Rückbauplanung einzusteigen "ist, als wenn man das Pferd von hinten aufzäumt", so Liebing weiter. "An den Netzen hängen Millionen Haushalte, die zuerst eine machbare Perspektive brauchen."

Der Präsident des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und Chef des Stadtwerkeverbunds Thüga, Michael Riechel, fand im Gespräch mit der Fachzeitschrift Top Agrar gar noch deutlichere Worte für die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums:

"Die Aussagen sind an Dreistigkeit und Ignoranz nicht zu überbieten. Die Stadtwerke jetzt aufzufordern, den Rückbau der Gasnetze zu planen, ist grob fahrlässig."

Der DVGW-Präsident warf Graichen zudem "ideologische Scheuklappen" vor. "Es ist bei den Technologien, die wir künftig nutzen sollten, keine Frage des Entweder-Oder, sondern von Sowohl-als-Auch. Nur wenn wir alle Technologieoptionen nutzen – das heißt Wärmepumpe, Fern- und Nahwärmenetze, H2-ready-Gaskraftwerke und klimaneutrale Gase in den Bereichen Wärme, Industrie und Verkehr –, werden wir die Energie- und Klimawende rechtzeitig schaffen und bezahlbar gestalten", erklärte Riechel. 

Auch bei der von Deutschland angestrebten klimaneutralen Energieversorgung könnten Gasverteilnetze "eine wichtige Rolle spielen, indem sie etwa Wasserstoff oder andere klimaneutrale Gase zu den Endkunden transportieren", betonte Liebing gegenüber der Welt am Sonntag. Deshalb sei "Technologieoffenheit von zentraler Bedeutung, sonst verbauen wir uns vollkommen ohne Not Wege, die wir später noch benötigen", so der Sprecher der kommunalen Versorgungswirtschaft. 

Zugehörige Pläne der Bundesregierung, wonach Gasheizungen ab 2024 praktisch nicht mehr zugelassen werden sollen, stoßen nicht nur bei dem VKU-Chef auf Zweifel. Denn statt auf Gasheizungen möchte das mit der Energiewende beauftragte Team um Habeck künftig auf die millionenfache Verbreitung der strombetriebenen Wärmepumpe setzen.

"Man versucht, eine bestimmte Technologie, die Wärmepumpe, mit aller Gewalt in den Markt zu drücken, ohne dass es den Wärmekunden helfen wird. Für die wird es nur teuer, sehr teuer", schimpfte der DVGW-Vorstandsvorsitzende Gerald Linke im Gespräch mit der Welt am Sonntag. Ähnlich wie Riechel verwies nämlich auch er darauf, dass Graichens Forderung "offenkundig von Ideologie getrieben" sei.

Deutschland verfügt mit seinen über 500.000 Kilometern an Gasverteilnetzen über eine hervorragend ausgebaute Infrastruktur. Anders als im Stromnetz ließen sich hier zudem große Mengen Energie speichern. "Während die Strominfrastruktur ihren Ausbauplänen hinterherhinkt und noch nicht an die künftigen Leistungsanforderungen angepasst ist, steht mit den Gasverteilnetzen eine leistungsfähige Infrastruktur bereits zur Verfügung", erklärte der Geschäftsführer der Brancheninitiative Zukunft Erdgas, Timm Kehler, der Welt am Sonntag.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lehnt die Pläne zum Gasnetzrückbau der Bundesregierung ab. "Ein Rückbau der Verteilnetze zum jetzigen Zeitpunkt wäre vor allem mit Blick auf die Vielzahl dort angeschlossener Gewerbe- und Industriekunden absolut kontraproduktiv", sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Die frühere Grünen-Politikerin verwies zudem darauf, dass über die Leitungen derzeit rund 20 Millionen Haushalte und etwa 1,8 Millionen Unternehmen versorgt würden. "Die Gasverteilnetze sind ein essenzieller Bestandteil unseres zukünftigen Energiesystems und stärken die Resilienz des gesamten Versorgungssystems", so Andreae. 

Ziel müsse es stattdessen sein, "Schritt für Schritt Erdgas durch Wasserstoff und andere klimaneutrale Gase zu ersetzen". Dies sei "volkswirtschaftlich effizient und kann entscheidend zur Versorgungssicherheit beitragen".

Lediglich die Deutsche Energie-Agentur (Dena), zu deren Gesellschaftern unter anderem auch das Bundeswirtschaftsministerium gehört, hält die Pläne der Bundesregierung für plausibel. In ihrer Leitstudie zur Klimaneutralität kommt die Dena demnach zu dem Schluss, dass der Verbrauch gasförmiger Energieträger in Deutschland bis 2045 um rund ein Drittel zurückgehen werde. Deshalb sei es "sinnvoll", "die Gasverteilnetze langfristig an die geringere Nutzung durch entsprechende Rückbaumaßnahmen anzupassen", heißt es in der Studie. 

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